Auf dem kleinen Parteitag wird die Gratwanderung der Grünen deutlich: Auf der einen Seite sprechen sich viele für die Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine aus. Gleichzeitig verschreibt sich die Partei dem Frieden.
Grünen-Chef Omid Nouripour hat die militärische Unterstützung der Ukraine gegen den russischen Angriff verteidigt, sich zugleich aber zum Einsatz für den Frieden bekannt. “Wir werden immer Friedenspartei bleiben”, versprach Nouripour bei einem kleinen Parteitag am Samstag in Düsseldorf. Gerade die grüne Außenministerin Annalena Baerbock habe alles getan, um einen Krieg zu verhindern, der Kreml habe daran aber kein Interesse gehabt.
Als Regierungspartei schauten die Grünen der Realität ins Gesicht, sagte Nouripour. Das bedeute keinen Abschied vom Bemühen um friedliche Konfliktlösungen. Der Einsatz von Militär dürfe nur “ein aller-, allerletztes Mittel” sein. Die Lage in der Ukraine zwinge die Grünen nun, Dinge zu tun, die sie vor einigen Wochen nicht getan hätten, darunter die Lieferung schwerer Waffen.
Nouripour gegen 2-Prozent-Ziel der Nato
“Es ist unser Job als Grüne, die historisch gewachsene berechtigte Kultur der militärischen Zurückhaltung nicht aufzugeben. Das ist und bleibt richtig”, sagte Nouripour. Das Nato-Ziel, wonach jährlich zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Rüstung auszugeben wären, sei falsch. Der Verankerung im Grundgesetz stimmten die Grünen nicht zu, sagte Nouripour, der einen Antrag des Bundesvorstands zur Ukraine-Politik einbrachte. Allerdings müsse die Bundeswehr sich massiv verändern, etwa bei der Beschaffung. Wichtig sei aber auch der Einsatz gegen Cyberattacken oder gegen Desinformationskampagnen.
In einem Antrag des Bundesvorstandes befürwortet die Partei die Lieferung “schwerer Waffen und komplexer Systeme etwa im Rahmen des Ringtausches mit Partnerländern”. Zudem solle stetig geprüft werden, ob weitere Waffen abgegeben werden können.
“Wir spüren in der Partei wie überall in der Gesellschaft natürlich eine Verunsicherung über die Situation, den Krieg und diese krisenhaften Zeiten”, erklärte die Politische Bundesgeschäftsführerin Emily Büning am Samstag kurz vor dem offiziellen Beginn der Veranstaltung um 13 Uhr in der nordrhein-westfälischen Landeshauptstadt.
Die Grünen wollten sich den Tag nehmen, um darüber zu debattieren, “wie wir Sicherheit in diesen unsicheren Zeiten garantieren können, wie wir so die Zukunft schmieden können”, sagte Büning. Die Partei sei sich ihrer Werte bewusst und bereit, bei schwierigen Abwägungen und Entscheidungen Verantwortung zu tragen. “Um weiter Frieden und Wohlstand zu sichern, braucht es die Unterstützung der Ukraine.”
Baerbock: “Wenn sich die Welt verändert, müssen sich auch unsere politischen Antworten verändern”
Nicht persönlich anwesend sind die Vorgänger von Lang und Nouripour: Vizekanzler Robert Habeck und Außenministerin Annalena Baerbock werden per Video zugeschaltet. Baerbock sollte parallel auf einer Wahlkampfveranstaltung in Lübeck auftreten. Dort hatten allerdings Unbekannte auf einer Freilichtbühne zuvor Buttersäure versprüht. Daraufhin wurde die Veranstaltung abgesagt. Habeck ist wegen einer Corona-Erkrankung nicht anwesend.
In ihrem Videostatement hat Baerbock an ihre Partei appelliert, den von der Bundesregierung eingeschlagenen Weg zur Unterstützung der Ukraine und der Ausrüstung der Bundeswehr mitzutragen. “In diesen Momenten, wo das Unvorstellbare doch bittere Realität geworden ist, tragen wir Verantwortung und müssen Dinge entscheiden, die wir uns bisher nicht vorstellen konnten”, sagte die Außenministerin.
Denn es gehe “um unser Friedensprojekt Europa”, sagte Baerbock. Sie sei dankbar dafür, dass die Grünen bereit seien, Verantwortung zu übernehmen und sich nicht wegduckten. Baerbock zeigte zugleich Grenzen auf und erteilte der Errichtung einer Flugverbotszone über der Ukraine eine klare Absage. “So sehr es einem das Herz zerreißt – wir müssen kühlen Kopf bewahren.” Denn es gebe auch die Verantwortung dafür, “dass dieser Krieg nicht ein Krieg in ganz Europa wird”.
Baerbock verteidigte nicht nur die geplante Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine, sondern auch das vorgesehene Sondervermögen für die bessere Ausstattung der Bundeswehr. So etwas hätten die Grünen bislang nicht diskutiert. “Aber wenn sich die Welt verändert, müssen sich auch unsere politischen Antworten verändern”, sagte sie.
Widerstand beim Parteinachwuchs
In dem Antrag zu Waffenlieferungen bekennt sich die Parteispitze auch zu dem 100-Milliarden-Sondervermögen für die Bundeswehr. “Dazu gehörte auch eine zügige Evaluation und Reform des Beschaffungswesens der Bundeswehr”, heißt es in dem Antrag.
Gegen das geplante Sondervermögen regt sich aber Widerstand beim Parteinachwuchs. “Als Grüne Jugend haben wir von Beginn an klargemacht, dass wir über den Vorschlag eines Sondervermögens irritiert sind, weil es in der aktuellen Lage nicht hilft”, sagte Grüne-Jugend-Bundessprecher Timon Dzienus der “Rheinischen Post” vom Samstag. “Die 100 Milliarden leisten keinen Beitrag für die Unterstützung der Ukraine.”
“Wir halten es für den falschen Weg, mit großen runden Summen Sicherheit zu suggerieren, statt über notwendige Bedarfe zu sprechen”, sagte Dzienus. In einem Änderungsantrag fordert die Grüne Jugend, es müsse “eine Reform des Beschaffungswesens und eine bedarfsgerechte Ermittlung notwendiger Militärausgaben” geben, bevor zusätzliche Mittel in die Bundeswehr fließen.
Grüne fordern Unabhängigkeit von Russland
In einem weiteren Antrag plädiert die Parteispitze für den “kompletten ökonomischen Bruch mit Putins Russland”. Für die deutsche und europäische Industrie sei “die Überwindung der Abhängigkeit von Kohle und Öl, von Gas und Uran die entscheidende Zukunftsfrage”. Drastisch verstärkt werden müssten bundesweit die Anstrengungen zum Energiesparen und zur Erhöhung der Energieeffizienz.
“Die Zeiten von billigem, pipeline-gebundenem russischem Gas sind unwiderruflich vorbei”, heißt es in dem Antrag weiter. “Nichts, auch nicht grüner Wasserstoff, wird Kohle, Öl und insbesondere Gas eins zu eins ersetzen.”