Oleinikova: Dass Putin viele Unterstützer hat, liegt auch daran, dass die Menschen mit dieser Idee von Großrussland aufgewachsen sind. Auch als wir Kinder waren, ging es immer darum, dass Russland das beste Land der Welt sei, die Sowjetunion großartig war und das russische Militär nur aus Helden bestehe. Da gibt es viel zu tun, aber Russland kann sich davon erholen.Makichyan: Gleichzeitig akzeptieren wir auch, wenn Ukrainerinnen oder Ukrainer sagen, sie hassen die Russen. Sie kämpfen um ihr Leben und verteidigen das Existenzrecht ihres Landes, ihre Wut ist völlig berechtigt. Die Europäer fühlen deswegen viel Mitleid mit den Menschen – aber mehr nicht. Mitleid allein ändert aber nichts an der Lage. Echte Solidarität wäre es, den Gashahn endlich abzudrehen.Planen Sie, in Deutschland zu bleiben, um den Druck für ein Gasembargo weiter zu erhöhen?Makichyan: Das ist eine sehr schwierige Entscheidung. Es wäre einfach, hier in Berlin sitzen zu bleiben und immer weiter dieselben Forderungen zu wiederholen. Aber das heißt nicht, dass es richtig wäre. Wir müssen unsere Arbeit in Russland weiterführen, auch wenn das mit Risiken und persönlichen Opfern verbunden ist.Auf Twitter raten ihnen sogar Fremde davon ab, nach Russland zurückzugehen – die Gefahr sei zu groß. Ist das nicht irrational, wissentlich lange Gefängnisstrafen zu riskieren?Makichyan: Aktivismus in Russland war noch nie rational – auch vor dem Krieg war es gefährlich. Man muss einfach machen, was sich richtig anfühlt. Dass wir die Wahl haben, ob wir uns dem aussetzen, ist ein Privileg. Die Ukrainer haben das nicht, Putin nimmt ihnen alles.Oleinikova: Klar habe ich Angst davor, dass wir im Gefängnis landen könnten. Aber ich möchte mich nicht von Angst durchs Leben leiten lassen. Wir bekommen tatsächlich viele Ratschläge dazu, was wir tun sollen. Angeblich mache es mehr Sinn, im Ausland die russische Friedensbewegung weiterzubringen. Ich will aber zurück nach Russland – das ist die Öffentlichkeit, mit der ich arbeiten will. Wir können die Menschen im Stich lassen.Makichyan: Allerdings brauchen wir neue Strategien, um Putin zu bekämpfen.Wie könnte das aussehen?Oleinikova: Jetzt ist die Zeit für Guerilla- und Partisanenmethoden. Also besonders kreativer Widerstand, der überall möglich ist.Oleinikova: Vor einigen Wochen hat eine junge Frau, Alexandra Skochilenko, in Sankt Petersburg die Preisschilder an Supermarktregalen mit Infoschildchen über die Kriegsverbrechen der russischen Armee in der Ukraine ausgetauscht. Sie wurde deswegen festgenommen und sitzt in U-Haft, aber auch in anderen Städten tauchen jetzt solche Zettel auf. Andere Leute umgehen die Zensur mit Friedensgraffiti oder tanzen auf öffentlichen Plätzen zu ukrainischer Musik. Das ist beides nicht verboten, aber alle wissen, was damit gemeint ist.
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Russische Antikriegs-Aktivisten | “Die Bundesregierung hilft Russland mehr als der Ukraine”

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